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Rede von Botschafter Manfred Huterer anlässlich des Holocaust Gedenktages
Botschafter Manfred Huterer hält seine Rede anlässlich des Holocaust-Gedenktages in der Staatlichen Nawoi-Bibliothek, © Deutsche Botschaft Taschkent
Anlässlich des Holocaust-Tages am 27.01.2025 fand in der Staatlichen Nawoi-Bibliothek eine gemeinsam von der Deutschen und Israelischen Botschaft organisierte Gedenkveranstaltung statt. Im Rahmen der Veranstaltung wurde die usbekische Sprachversion des „Tagebuchs der Anne Frank“ präsentiert und die Ausstellung „SPOTS OF LIGHT – Frau sein im Holocaust“ eröffnet.
Rede von Botschafter Manfred Huterer anlässlich des Holocaust Gedenktages
Sehr geehrter Herr Vizeminister,
Sehr geehrter Herr Botschafter Lustig,
sehr geehrte Mitglieder der jüdischen Gemeinde Usbekistans,
sehr geehrte Damen und Herren,
heute und hier als deutscher Botschafter teilnehmen und zu Ihnen sprechen zu dürfen, empfinde ich als Geschenk und Ehre.
Heute vor 80 Jahren befreiten sowjetische Soldaten Überlebende des deutschen Vernichtungslagers Auschwitz. Der Name dieses Ortes selbst ist zu einem Synonym geworden, der die barbarischen und unverzeihlichen Verbrechen, die Deutsche an jüdischen Menschen und so vielen anderen begangen haben, zu umfassen sucht. Mit der Befreiung von Auschwitz näherte sich der von Deutschland entfesselte Zweite Weltkrieg und der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion, der unermessliches Leid über Europa, die Völker der Sowjetunion und die ganze Welt gebracht hatte, seinem Ende.
Etwa sechs Millionen Menschen jüdischen Glaubens, jüdischer Herkunft wurden von Deutschen und im Namen Deutschlands in einem Rassenwahn vorsätzlich und systematisch ermordet. Deutsche ermordeten aus niederstem Hass auch Sinti und Roma, Kranke, Menschen mit Behinderung, Homosexuelle und Menschen, die den Nationalsozialismus ablehnten. Und niemand unter den Ermordeten erhielt ein Grab, das sichtbar an ihn oder sie erinnern könnte.
Deshalb ist das Erinnern an solche Verbrechen in Veranstaltungen wie der heutigen so wichtig. Und weil das von Deutschen verübte Menschheitsverbrechen fast unvorstellbar und das verursachte Leid so unermesslich ist, ist es so wichtig, dieses Verbrechen detailliert zu erforschen und das Leid konkret zu benennen. Von Kindern zu berichten, die nie erwachsen wurden. Anne Frank ist eines dieser Kinder. Anne und ihre Familie wurden verfolgt. Sie mussten sich verstecken. Sie wurden verraten und nach Auschwitz deportiert. Anne Frank, ihre Schwester Margot und ihre Mutter Edith wurden von Deutschen ermordet. Ihr Vater Otto überlebte, doch er konnte seine Kinder nicht aufwachsen sehen. Nie wieder mit ihnen spielen. Seine Frau nie wieder in den Armen halten.
Wir müssen diese Geschichte und die Geschichten Einzelner bewahren. Geschichten von Hass und Mord. Geschichten von Orten wie dem Warschauer Ghetto, dem Massaker von Babyn Jar, von Dachau, von Buchenwald.
Die Liste ist lang.
Doch es gab in diesen dunklen Zeiten auch Lichtblicke und Geschichten der Hoffnung und Zuversicht. Menschen, die Flüchtlinge aufnahmen, die Ihnen Schutz boten.
Liebe Mitglieder der jüdischen Gemeinde,
Einige dieser Menschen lebten in der Usbekischen SSR. Sie nahmen über 250.000 Juden auf, häufig in ihren Häusern, und teilten mit ihnen – auch, wenn sie selbst nicht viel hatten. Ihnen, der jüdischen Gemeinde, und Ihren Vorfahren, kam dabei eine wichtige Rolle zu. Auch diese Geschichten müssen wir bewahren. Sie zeigen, dass es Menschlichkeit gibt. Dass Menschen zusammenrücken und helfen, wenn andere in Not sind.
Für uns Deutsche sind Synonyme wie Auschwitz, Dachau oder Majdanek Grund zu tiefster Scham. An die Verbrechen zu erinnern, die Täter zu nennen und den Opfern ein würdiges Gedenken zu bewahren – das ist Verantwortung, die nicht endet. Sie ist nicht verhandelbar; und sie gehört untrennbar zu unserem Land. Uns dieser Verantwortung bewusst zu sein, ist fester Teil unserer nationalen Identität, unseres Selbstverständnisses als aufgeklärte und freiheitliche Gesellschaft, als Demokratie und Rechtsstaat. Vor diesem Hintergrund sind Kommentare nicht hilfreich, die dazu aufrufen, die Deutschen sollten sich wegen der dunklen Kapitel ihrer Vergangenheit nicht so schuldig fühlen. Es geht nicht um einen Schuldkomplex oder um eine Kollektivschuld der Generationen.
Der Holocaust und die Schrecken des Zweiten Weltkrieges sind kein abgeschlossener Teil unserer Vergangenheit. Es ist Vergangenheit, die nicht vergeht und die uns mahnt, Antisemitismus und menschenverachtende Ideologien nie wieder zuzulassen.
Leider leben wir in einer Zeit, in der totgeglaubte Dämonen der Vergangenheit wieder erwachen. Zunehmender Antisemitismus in Deutschland, aber auch in anderen Teilen der Welt, ist eine ernstzunehmende Bedrohung für unsere Demokratie. Aber auch ein übersteigerter Nationalismus und Ideologien, die andere Menschen diskriminieren, herabsetzen und ausschließen, bedrohen eine pluralistische Gesellschaft.
Uns allen ist klar, dass es eine zunehmende Herausforderung ist, die Erinnerung an die NS-Verbrechen wachzuhalten und die Erfahrungen der Vergangenheit für die Zukunft zu nutzen. Daher müssen wir Erinnerungskultur so entwickeln, dass sie auch in Zukunft Bestand hat.
Dass ich als Botschafter Deutschlands heute zu Ihnen sprechen darf, dass die Botschaften Israels und Deutschlands diese Veranstaltung gemeinsam ausrichten, ist ein Geschenk an uns Deutsche und an Deutschland - das Geschenk der Versöhnung, die die jüdische Gemeinschaft, die so wie viele unter Deutschland gelitten haben, uns Deutschen eröffnen.
Ich persönlich und wir Deutsche sind für dieses Geschenk überaus dankbar. Wir werden es unbedingt bewahren. Und wir verstehen es als Verpflichtung: Nie wieder!